Opas Hobby lebt
Die Pfaffenhofener Amateurfunker stellen neues Interesse bei jungen Leuten fest
Pfaffenhofen - Wenn die Welt in Trümmern liegt, die Fernmelde-Satelliten aus ihrer Umlaufbahn gefallen und die Kommunikationssysteme zusammengebrochen sind, wenn telefonieren und das Schreiben von E-Mails nicht mehr möglich ist, dann kommt ihre Stunde: dit-dit-dit-dah-dah-dah-dit-dit-dit - die Pfaffenhofener Funkamateure können dann immer noch ein SOS-Signal morsen und sicher sein, dass es irgendwer auf dem Planeten Erde hört.
Wenn man die Amateurfunker vom Ortsverband "Charlie 22" (Charlie wie das C im internationalen Buchstabier-Alphabet) mit diesem Szenario konfrontiert, erntet man ein müdes Lächeln. Denn davon abgesehen, ob beim endzeitlichen Armageddon überhaupt noch Hilfe kommt - die Frage nach Sinn und Zweck des Amateurfunks im Internet- und Skype-Zeitalter läuft bei ihnen ins Leere. Das ist ein Hobby, sagen sie dann, so wie Briefmarken sammeln, da frage ja auch niemand nach Nützlichkeit.
Samstagnachmittag, vier Funker haben sich auf dem Pfaffenhofener Bunkergelände in ihrem Shack - so nennt man in den Kreisen die Funkerbude - getroffen. Die ist gerade mal 20 Quadratmeter groß, aber vollgepackt mit Elektronik, Funkgeräten, Tunern, Sendeendstufen, Antennenverstärkern. "Rig" nennen die Funker die Anlage. Ein Airbus-Cockpit sieht übersichtlicher aus. Hier treffen sich die Aktiven des 100 Mitglieder starken Ortsvereins, der sich 1979 vom Freisinger Verein abgespalten hatte.
Am Fenster sitzt Franz Holzmann mit Kopfhörern auf den Ohren. Holzmann dreht am Frequenzregler, aus dem Lautsprecherrauschen werden allmählich Sprachfetzen hörbar. "Psst, das ist Kanada", mahnt er zur Ruhe. Die Funker lauschen, undeutliche Stimmengeräusche sind vernehmbar. "Schlechte Verbindung heute", stellt Holzmann fest. "Obwohl es eigentlich für Kanada noch nicht zu spät ist", sagt Wolfgang Assenbrunner, 50, der Vereinsschriftführer. Denn die Funkwellen, die von einem zehn Meter hohen Antennenmast auf dem Bunkergelände ausgestrahlt werden, leiten sich nicht wie beim Handy von Funkmast zu Funkmast weiter, sondern reflektieren an der Ionosphäre. Das ist eine elektrisch geladene Luftschicht um unseren Planeten, deren Wirksamkeit für Funker vom Sonnenstand abhängt.
Nur Ignoranten würden jetzt fragen, warum Holzmann nicht einfach mit seinem Handy in Kanada anruft. Eine völlig falsche Frage, aus Sicht der Funker. Denn es geht nicht ums komplikationslose Plauschen, sondern um eine selbst hergestellte Funkverbindung - je exotischer, desto besser; Funken quasi als Sportdisziplin, wo Diplome vergeben werden.
Dafür zuständig ist Franz Holzmann. Der 62-Jährige ist im Ortsverband des DARC, des Deutschen Amateur-Radio-Clubs, für die QSL-Vermittlung zuständig: Jedes Mitglied dokumentiert auf einer Postkarte eine gelungene Verbindung oder den Empfang einer Botschaft mit Amateurfunkern rund um den Globus. Holzmann sammelt diese Karten, schickt sie dann an die DARC-Zentrale, wo sie ausgewertet und dann zurückgesandt werden - was deshalb wichtig ist, weil Funker solche Karten für Wettbewerbe sammeln.
So kann man beispielsweise ein Diplom bekommen, wenn man mit allen 194 Staaten dieser Erde Kontakt aufgenommen hat; oder, ein paar Nummern kleiner, mit allen Nordsee-Leuchttürmen. Fürs Hopfendiplom, das der Ortsverband zum Jubiläum ausgelobt hatte, reichte der Nachweis von zehn Verbindungen zu Funkern in der Hallertau. Klingt wenig, aber gemessen an den 75 000 Funkern, die es in Deutschland gibt, ist es für Funker, die hier nicht wohnen, schon eine Herausforderung, zehn in der Holledau zu finden.
Was so reizvoll daran ist, wildfremde Menschen 10000 Kilometer entfernt anzupiepsen und ein Lebenszeichen zurückgefunkt zu bekommen, kann am besten Martin Faust erklären. Der 66-jährige promovierte Physiker aus Jetzendorf hat als 16-Jähriger Funkerblut geleckt, auf den Geschmack gebracht hat ihn sein Physiklehrer, der ihm beibrachte, wie man selbst ein Funkgerät bauen kann. Eine Lizenz zum Senden bekommt man auch heute erst, wenn man 18 Jahre alt ist. Aber den Funkverkehr abhören, das darf man auch früher.
Martin Faust erinnert sich noch heute daran, wie er den Funkverkehr beim Prager Frühling mithörte. "Schauen Sie mal", sagt er und zeigt auf seinen Unterarm, "da stellen sich mir noch heute die Härchen auf." Regime können Telefone abhören, E-Mails hacken und das Internet sperren - dem Funkverkehr dagegen können keine Grenze gesetzt werden. Weswegen im Zweiten Weltkrieg die Nachrichten verschlüsselt wurden.
Abkürzungen benutzen die Funker auch heute noch, aber nicht, weil sie etwas zu verbergen haben, sondern aus Bequemlichkeit. yl heißt "young lady" und gilt als Anrede. Der Ehefrau wird ein X vorgesetzt, xyl bedeutet "ex young lady", was für Funker altersunabhängig ist. Und anstatt "Liebe und Küsse" zu schreiben, verschicken sie das Kürzel "88". "Das leitet sich vom Morsen ab", erklärt Bernd Neubauer, der stellvertretende Vorsitzende. ---.. ---.. dah-dah-dah-dit-dit-dah-dah-dah-dit-dit. Er macht's mit einem Morsetaster vor, es klingt melodiös, aber man muss schon Funker sein, um da Zärtlichkeit rauszuhören.
Auch das Morsen hat sich vereinfacht. Niemand tippt heute mehr jeden Punkt und Strich einzeln mit einem Taster. Automatische "Wabbler" produzieren diese Zeichen. Natürlich kann man seinen Text auch auf dem Computer schreiben und ihn ins Morsealphabet übersetzen lassen, aber da rümpft ein echter Funker die Nase.
"Opas Hobby ist tot", hieß es über die Amateurfunker Mitte der 80er Jahre, als die ersten Handys aufkamen. Die Preise für die hochwertige Elektronik, die im Pfaffenhofener Shack steht, fielen ins Bodenlose. Assenbrunner zeigt auf eines der wuchtigen Messgeräte. "Das kostete damals um die 30000 Mark, jetzt gibt's das auf dem Flohmarkt für 500 Euro." Aber um funken zu können, reicht schon ein kleines handygroßes Gerät mit eingebauter Antenne. Das gibt es schon für 30 Euro und sendet unter günstigen Umständen 1000 Kilometer weit.
Und deshalb sind die Pfaffenhofener Funker optimistisch, Faust stellt gar einen neuen Hype bei jungen Leuten fest. Er bringt in Kursen am Schyren-Gymnasium und im Rahmen des Pfaffenhofener Ferienprogramms Jugendlichen bei, wie man für wenig Geld sein eigens Funkgerät bauen kann. Franz Neubauer, 42, lädt Jugendliche zur Fuchsjagd ein. Dieser Fuchs hat kein Fell, es ist ein Sender, der irgendwo im Gelände versteckt wird und dann geortet werden muss. Macht den jungen Leuten riesig Spaß, sagt Neubauer, der dazu Wochenendzeltlager organisiert. Wer Lust aufs Mitmachen hat, kann sich auf unter www.c22.de informieren.